Fluchen statt Demut
Süddeutsche Zeitung, Juli
„Nicht gucken ! Durchschwingen durch den Ball, Kopf unten lassen“, predigt Franz Strauss, den im Golfclub Drachenwand natürlich niemand Trainer nennt. Er ist ja Pro. Pro wie Professional. Einer, der auf einem Golfplatz für 72 Schläge , 72 Schläge braucht: sein Handicap ist Null. Franz also ist ein braun gebrannter Pro mit Bügelfaltenhose, Poloshirt und dem Charme eines pfiffigen Bauernburschen. Einer, zu dem hier keiner: „Guten Tag Herr Strauss“ sagen wird, sondern immer : „Servus Franz“.
Beim Golfen gelten Nachnahmen ohnehin nicht viel. Jedenfalls am Mondsee im Salzkammergut bei der Platzreife-Truppe, die mit geliehenen Schlägern beim Übungsgrün steht und versucht, den kleinen weißen Ball zu treffen. Deshalb sagt Franz zur Frau leisner, der Lehrerin aus Metzingen, die bald in Rente geht, ganz einfach Lissi. Zu Herrn Frühhelf, dem Journalisten aus Freiburg sagt er Klaus und Frau Dorfmann, deren Mann in Bad Wurzach eine Firma leitet, nennt er Trudi. Zu Herrn Zimmer, der Karriere gemacht hat bei der Luftwaffe und nun in Siegburg seine Pension genießt, sagt Franz:“erst nach dem Plopp, wenn der Ball aufs Grün geflogen ist, den Kopf drehen, Lutz. Aber Lutz ist neugierig. Will wissen, ob sich der Ball dem runden Loch nähert oder widerspenstig woanders hin kullert. Am ersten Tag, als Lissi, Trudi, Lutz und Klaus den flachen Annäherungsschlag lernen, der in der Golfsprache chippen heißt, rollt der Ball meistens woanders hin. Das Gute am Golfen ist das Reden darüber. Und da ist es praktisch, dass man in der Villa Drachenwand in der Platzreife-Gruppe am Abend miteinander isst. Beginner, die den Platzreifekurs machen, sitzen zusammen mit Golfern aus dem Turnierreife oder Handicapkurs. Das gehört zum Konzept des Reiseveranstalters Golf und fun. Der garantiert den Platzreifeteilnehmer nicht nur die Platzreife innerhalb einer Woche, sondern auch „fun“ durch das Erlebnis in der Gruppe. Nützliche Tipps bleiben da nicht aus. Und so erklärt Trudis Mann, ein Turnierspieler, dass er auf dem Golfplatz manchmal eine raucht. Dass er dann ein rausgeschlagenes Rasenstück sucht, das in der Golfsprache Divot heißt, und die Kippe samt Rasenstück in die Grasnarbe drückt. Während das Stichwort Rauchen am anderen Ende des Tisches zu Oliver Kahn, dessen Ferrari und noch ganz anderen Sachen führt, stellt Trudis Mann eine Übungsfrage aus dem Regelbuch: ist ein Regenwurm uf dem Grün als Hindernis oder Hemmnis zu bewerten ? will er wissen. Schulterzucken bei den Anfängern. Regelkund kommt erst am dritten Tag dran. Das setup und der richtige Schlägergriff. Sagt Franz am nächsten Morgen ist das wichtigste. Beine Parallel zur Schlagfläche, Knie beugen, Ausholbewegung, Gewichtsverlagerung, Hüftdrehung -Ball abschlagen, Arme ausschwingen. Im Fernsehn sieht das einfach aus bei Tiger Woods. Sergio Garcia oder Ernie Els. Aber der einzige, den man hier respektvoll Tiger nennt, ist ein Jack-Russel-Terrier- der Hund von Franz, dem blonden Pro. Je kürzer der Schläger, desto größer die Schnitzel erklärt Franz. Er meint die Divots, die bei Klaus am Anfang weiter fliegen als der Ball. Franz sagt: Golfen ist nach Stabhochsprung die Sportart mit der zweitschwierigsten Technik. Also prüfen Trudi, Lissi, Lutz und Klaus jede Bewegung, sie Kontrollieren im Gedanken jeden Muskel, und jeden Schwung. Und manchmal muss die unkontrollierte Begeisterung raus aus dem kontrollierten Körper. Bei Klaus ist das so, wenn er seiner Freundin zubrüllt : Schau Schatzi, 120 Meter. Oder: Schatzi hast du geschaut ? Nach Eisen Sieben wird das Dreier-Holz sein bester Freund. Viele Golfer sagen, man lerne bei dem Spiel, was Demut bedeutet. Manchmal lernt man nur das Fluchen. Es ist heiß, und die Poloshirts der Golfer sind bald so nass wie die Bälle, die gewaschen aus der Ballmaschine rumpeln. Wie groß die Genugtuung nach einem gelungenen Schlag ist, kann man an Lissis entspannten Gesichtszügen sehen. Sie geht bald in Rente und glaubt, dass der Sport ihre Zeit ausfüllen wird, die sie dann übrig hat. Andere aus der Gruppe haben mit dem Golfen angefangen, weil es alle Freunde aus dem Tennisclub tun. Weil es den Knochen weniger schadet, glauben sie. Bei Schweinelendchen und Schalotten ist man am Abend nochmals beim Thema: Arthrose, Meniskus, Rücken, Schmerzen im Knie. Man plaudert über unfähige Ärzte und glückliche Heilung, während die Gruppe an der anderen Tischhälfte Südostasien und die ganze Welt bereist. Man war in Burma, Thailand, Mexiko, in Las Vegas bei Siegfried und Roy, bei König Ludwig am Forgensee. Plötzlich fragt Klaus verwirrt: was haben wir gestern gemacht: chippen, switchen oder pitchen ? da ist man wieder beim thema Nummer eins bei den Platzreife-Schüler: Golf. Ich wollte schon lange verstehen was Birdie, Handicap oder Pitchen heißt., sagt Lissi, die Lehrerin. Und Trudis Mann, der Turnierreifespieler, erzählt, dass er bald nicht mehr BMW fahren muss, weil jetzt auch Mercedes ein Navigationssystem hat, das er nach dem nächsten Golfplatz fragen kann. Es ist eine kleine Welt auf dem Hochplateau zwischen den Bergen Drachenwand,Schafskopf und dem Mondsee. Eine Welt, in der die Konzentration dem Putten gilt, in der man mit Schwung das Sandwege in den Bunker haut. Eine Welt, die sich um Schlägerwahl und Neigungswinkel dreht. Ein Ort, an dem die Etikette zählt. Franz lehrt Verhaltensregel im Gelände: ruhig sein, wenn der Partner abschlägt. Niemals in die Puttlinie steigen. Man will zu Hause ja keine schiefen Blicke zugeworfen kriegen. Es ist geregelt, wo beim Schlag die Golfausrüstung steht und wie der Platz zu schonen ist. Deshalb verteilt Franz einen Plastik-Chip mit Plastik-Fühlern, eine Pitch-Gabel zum Stochern im Gras. Damit bessert man das Einschlagloch des Balles aus -falls er tatsächlich mal auf dem grün landet. Franz sagt: Schreit jemand Fore, müsst ihr in Deckung gehen, weil ein Ball im Anflug ist. Lutz kennt das von der Bundeswehr. Am vierten Tag schiebt Franz in der Lounge der Villa Drachenwand ein Video in den Recorder. Regelkunde. Blaue Pflöcke sagen dem versierten Spieler: Boden in Ausbesserung, weiße Pflöcke bedeuten: ende des Platzes. Franz erläutert: Wenn der Ball ins Wasser fällt, habt ihr drei Möglichkeiten weiterzuspielen. Dann empfiehlt er Lissi und den anderen ein Regelbuch zu kaufen. Eines, in dem Sätze stehen wie: Ein Ball ist im Bunker, wenn er darin liegt. Am Abend erklärt Trudis Mann den anderen noch was ein natürliches bewegtes Hemmnis ist : Eine Schildkröte, auf deren Panzer ein Ball gefallen ist. Für den theoretischen Teil der Platzreifeprüfung füllen die Golfer 50 konstruierte Fragen aus. Bei manchen von ihnen staut sich Aggression - wie beim Abschlag, wenn man drei Mal in den Boden haut. Juristendeutsch kann ziemlich grausam sein. Nervosität am letzten Tag, kurz vor der Prüfung auf dem Platz: Lutz, der Bundeswehr-Mann der groß und stark ist wie ein Bär und Waden hat wie bauchige Vasen, tappt nervös hin und her. Lissi wirkt ruhig. Sie denkt an den ersten Tag im Golfclub Drachenwand. Da spielten Platzreifespieler bei einem Turnier, dass Happy-Hacker-Trophy hieß. Lissi glaubt, dass sie ein Hacker ist. Sie steht am Abschlag mit dem braven siebener Eisen-holt aus und trifft. 50, 60 Meter fliegt der Ball. Lissi ist froh, dass sie doch kein Hacker ist. Lutz konzentriert sich jetzt. Klock! Das Metall von Eisen Sieben trifft den Ball, sein Abschlag fliegt weiter, 110 Meter weit. Lutz atmet auf. Lissi, Trudi und Klaus tragen ihre Golfbags übers Fairway. Stolz, dass der Platz für sie kein Sperrgebiet mehr ist. Endlich gehören sie dazu zum Kreis der Golfer, der längst nicht mehr so elitär und abgehoben ist wie vor zehn Jahren. Auf den neun Löchern erleben sie dieses Gemisch aus Freude und Frust, Konzentration und Erleichterung, erfüllter Erwartung und Querschlägen, die Wut erzeugen. Der Anfang ist schwer. Und nachher wird es auch nicht leichter, ruft ihnen eine erfahrene Golferin zu. Lissi schreckt das nicht ab. Sie hat ja Zeit zu üben. Und außerdem sie jetzt nach der Woche Golf am Mondsee diese Urkunde, auf der Platzreife steht, mit dem Stempel und Unterschrift von Franz, dem blonden Pro, der Bügelfaltenhosen trägt. Autor: Karin Bühler